Autorin: Madlin Schmidt
Lebenswelt Hochschule oder Lebenswelt Campus, Begrifflichkeiten, die scheinbar aus dem Fokus geraten sind. Nur in einem Teilprojekt des interdisziplinären Vorhabens „Agenda 21 und Universität Lüneburg“ (Professorin Dr. Ute Stoltenberg) wurde sich 1999 bis 2001 intensiver damit befasst. Die Frage dabei lautete: Welche Bedeutung der Hochschule in ihrer Funktion als Teil der Lebenswelt von Studierenden, Lehrenden, Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung zukommen kann. Dabei wird die Hochschule als Erfahrungsraum gesehen, in dem „der Umgang mit der Zeit, mit den Räumen, in denen der Ge- und Verbrauch der Dinge über Wahrnehmungserweiterung und Kommunikation problematisiert wird und Möglichkeiten zu ihrer Veränderung entdeckt werden können.“ (Quelle: https://www.leuphana.de/institute/isep/forschung-projekte/archiv/weitere-forschungsprojekte/lebenswelt-hochschule.html, Stand: 10.08.2021)
20 Jahre später hat die Aktualität der Fragestellung nicht an Bedeutung verloren; im Gegenteil, die Nachhaltigkeitsdebatte gibt ihr neuen Aufschwung, massiven Aufschwung. Allerdings ist die Nomenklatur jetzt eine Andere, so die Wahrnehmung. Oder sind das heute nur Einzelaspekte (z. B. Gesundheitsförderung) eines „großen Ganzen“ und die Gesamtherausforderung ist verloren gegangen?
Fakt ist Folgendes: Die Hochschule, räumlich betrachtet, ist schon lange kein reiner Ort des Lehrens, Lernens und Forschens mehr. Studierende und Mitarbeitende der Organisation Hochschule verbringen viel und vor allem individuell Zeit auf dem Campus. Dort vermischen sich in einem kleinen Kosmos traditionell stattfindende, dem Wesenszweck der Organisation zugewiesene, vielleicht am humboldtschen Bildungsideal ausgerichtet, Aktivitäten mit Aktivitäten, die eher der Kategorie „Freizeit“ zuzuordnen sind. Orte, die dieses forcieren sind beispielsweise Mensen, Cafés, aber auch andere, zu erobernde Räume. Diese Beobachtung drückt auch ein neues „Anspruchsdenken“ der Mitglieder der Organisation Hochschule aus.
Wenn Hochschulen sich jetzt dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung anschließen, dann sollten auch lebensweltliche Aspekte aufgegriffen werden. Vorher erscheint es aber sinnvoll, den Begriff inhaltlich mit Leben zu füllen. In der vorhandenen Literatur wird beschrieben, dass es für eine günstige Lebenswelt Campus, als Teil einer nachhaltigen Entwicklung, eine Wechselwirkung von Hochschulmitgliedern mit ihrer Umwelt geben sollte. Vielfältige räumliche und inhaltliche Nischen müssen zum einen gegeben sein, zum andern durch die Akteure selbst mit Erprobung und Reflektion gestaltet werden können. „Der Raum“ stellt sozusagen eine Grundbedingung dar, der mit Wohlbefinden und Atmosphäre für das Erleben und Verhalten von Hochschulangehörigen auf dem Campus verantwortlich ist. Damit kann auch eine stärkere Identifikation der Akteure mit ihrer Hochschule einhergehen. Eine Win-win-Situation für die Individuen und die Organisation. (Quelle: G. Michelsen, A. Fischer, U. Stoltenberg: Lebenswelt Hochschule, Raum-Bildung, Konsum-Muster und Kommunikation für eine nachhaltige Entwicklung, Band 2, VAS, Frankfurt/Main, 2000)
Vor diesem Hintergrund möchte HIS-HE in einem spezifischen Projektvorhaben die aktuelle lebensweltliche Situation der Hochschulen analysieren und untersuchen. Die gestalterischen Möglichkeiten und die inhaltlichen Notwendigkeiten des gelebten Hochschulalltags sollen dabei Rechnung tragen. In der zweiten Jahreshälfte von 2021 werden dafür mit ausgewählten Akteuren unterschiedlicher Hochschulen Interviews geführt.
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