Im Mittelpunkt der Jahrestagung von Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft (GMW) und CampusSource, die vom 23. bis 25. Oktober 2024 am AI Center der ETH Zürich stattfand, stand das Thema „Agilität und KI in Hochschulen“ im Sinne von Herausforderungen und Innovationen durch die digitale Transformation in Lehre und Forschung. Den raschen aktuellen Entwicklungen im KI-Bereich lasse sich mit tradierten Methoden zur Einführung neuer Ansätze in Lehre und Forschung kaum noch gerecht werden, so eine Grundannahme der Veranstalter:innen. In zahlreichen anregenden Vorträgen, Workshops, Diskussionsrunden und Postern wurde daher der Frage nachgegangen, wie Hochschulen diesen Herausforderungen begegnen und ob und wie aktuelle Ansätze des Umgangs mit Innovationen in diesem Kontext Einzug halten.
Während Kerstin Mayrberger vom Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen (HUL) an der Universität Hamburg in ihrem Keynote-Vortrag „Ambidextrous Agile Educational Leadership in der Digitalität“ von einem ausgeprägten Spannungsfeld zwischen Stabilität und Wandel sprach, das für die Hochschulbildung in der (Post-)Digitalität zunehmend zur Herausforderung werde, hob sie im Hinblick auf die erforderliche „organisationale Ambidextrie“ hervor, dass die Hochschulen gleichermaßen der Fähigkeit bedürften, sich sowohl auf die flexible Erschließung und Entwicklung von Neuem auszurichten (Exploration) als auch darauf, das Kerngeschäft zu verbessern und effizient zu optimieren (Exploitation).
Ulf-Daniel Ehlers von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg berichtete in seinem Beitrag „AI Comp. KI Kompetenzen für Studierende definieren und ermöglichen“ von einer aktuellen Erhebung, die den Fragen gegolten habe, ob es domänenspezifischer Future Skill-Modelle für unterschiedliche Branchen bedürfe und welche Future Skills für die Menschen in einer durch KI geprägten Berufs- und Lebenswelt von Bedeutung seien. Ehlers stellte ein differenziertes KI-Kompetenzmodell mit zwölf Kompetenzfeldern vor, das auf einer Literature Review, einer quantitativen Befragung mit 1745 Teilnehmer:innen sowie Expert:inneninterviews basiert. Ein in diesem Zusammenhang entwickelter KI-Aktivitätsindex zeigte erhebliche Differenzen zwischen bereits vorhandenen bereichsspezifischen Erfahrungen mit KI und den erwarteten KI-Kompetenzfeldern, die künftig benötigt würden, vor.
Gerd Kortemeyer vom ETH AI Center referierte über das „Ethel“-Projekt zur gemeinsamen Entwicklung einer Open-Source-KI-Infrastruktur für die Hochschullehre. Für Ethel sei ein Open Source-basierter KI-Chatbot für Übungsaufgaben und Prüfungen in der Physik entwickelt worden. Der KI-Chatbot werde mit sehr spezifischem Material wie Vorlesungsskripten trainiert. Studierende empfänden den Chatbot für Übungsaufgaben trotz punktuell auftretender Fehler des KI-Tools als sehr hilfreich. Für Übungsaufgaben sei das Tool deutlich günstiger als eine Bewertung von Aufgaben durch wissenschaftliche Hilfskräfte, obwohl die Kosten der genutzten KI-Anwendung mit rd. 8 CHF pro Student:in pro Semester hoch ausfielen. Für Übungsaufgaben habe sich die Verlässlichkeit der Benotungen (rd. 91 % richtige Benotungen) als ausreichend erwiesen, für klassische Physik-Prüfungen hingegen (noch) nicht.
Im Mittelpunkt von Daniel Markgrafs Beitrag stand der an der privaten AKAD-Fernuniversität entwickelte „KI-Kompass“, mit dem Studierenden die Sorge genommen werden solle, dass ihre Kompetenzen im KI-Zeitalter nicht mehr benötigt würden. An der AKAD sei eine Handreichung „Nutzung von KI-Hilfsmitteln bei wissenschaftlichen Arbeiten an der AKAD“ entwickelt und eine Studierendenbefragung zur KI-Nutzung durchgeführt worden (63 % nutzen KI-Tools bereits, doch nur 30 % im Rahmen des Studiums). Zudem sei ein Prompting-Guide für Studierende eingeführt und ein KI-Kompass entwickelt worden, um Studierenden zu vermitteln, welche KI-Tools sie für welche Anwendungsbereiche einsetzen könnten.
Imanol Schlág vom ETH AI Center sprach über die „Swiss AI Initiative und den Einsatz von LLMs in der Bildung“. Die Swiss AI Initiative verfüge über die derzeit größten Supercomputing-Kapazitäten aller öffentlichen Institutionen. An der ETH Zürich würden diese Kapazitäten für die Entwicklung von Sprachmodellen wie Meditron für das Gesundheitswesen genutzt, doch auch für das bereits erwähnte Ethel-Projekt im Bereich der Bewertung von Studienleistungen. Schlág zufolge werden leistungsstarke KI-Anwendungen die Fähigkeiten ihrer Anwender:innen künftig zunehmend erweitern können, auch an den Hochschulen. Durch eine Erhöhung der Energieeffizienz mittels verbesserter Hardware sollten die stattlichen KI-bezogenen Betriebskosten künftig weiter reduziert werden.
Josef Buchner von der Pädagogischen Hochschule St.Gallen stellte – in einem Open Track jenseits des Kernthemas der Tagung – Ergebnisse der Evaluation eines theoriebasierten Lehrszenarios vor, das er für eine Flipped Classroom-basierte „Einführung in die Mediendidaktik“ eingesetzt habe. Der Flipped Classroom eröffne Spielräume u. a. für andere Aufgabenformate und für mehr sozialen Austausch. Für die Einführung in die Mediendidaktik hätten sich ein agiles Lehrsetting mit Berücksichtigung individueller Lernprozesse und die Methode des aktiven Lernens bewährt. Die Vorbereitungsphase des Flipped Classroom werde von Studierenden zielgerichtet genutzt und als sehr förderlich wahrgenommen.
Im Rahmen des Open Tracks sprach zudem Klaus Wannemacher als Verbundmitglied des OER-Portals twillo vom variablen Erwartungshorizont an die Adaption von Open Education in der wirtschaftswissenschaftlichen Lehre und stellte Ergebnisse einer Erhebung unter Lehrenden der Wirtschaftswissenschaften an den niedersächsischen Hochschulen vor. Die Ergebnisse der teilstandardisierten quantativen Erhebung deuteten auf eine zurückhaltende Adaption freier Lernmaterialien in den Wirtschaftswissenschaften und auf eine geringe Vertrautheit vieler Lehrender mit dem Finden, Entwickeln und Bereitstellen freier Lernmaterialien hin – bei gleichzeitig hohen Erwartungen von Nachwuchs-Lehrenden an die künftige Relevanz von Open Educational Resources.
Andrea Gumpert von der PH Bern stellte den Ansatz einer Hochschule als Softwareentwicklerin vor, bei der die Chancen und Herausforderungen agiler Eigenentwicklungen von Lerntechnologien genutzt worden seien. In Zusammenhang mit der Überarbeitung eines Curriculums sei an der PH Bern die „Komet“-Software zur mediendidaktischen Kompetenzentwicklung konzipiert und mittels Scrum gemeinsam mit einer Luzerner Firma agil entwickelt worden. Dabei habe man sich eines Persona-Ansatzes bedient. An sich verstünden sich Hochschulen nicht als Softwareentwickler, doch verspreche ein solches Projekt eine Zeitersparnis und einen Reputationsgewinn und sei bei Kosten von 150.000 CHF selbst für kleinere Hochschule durchaus finanzierbar. Allerdings bedürfe es für ein solches Projekt einer kollektiven Veränderungsbereitschaft an der Hochschule. Die gelungene Zürcher Jahrestagung der GMW und von CampusSource vermittelte angesichts des vielversprechenden Tagungsthemas, der vielseitigen und erhellenden Beiträge, einer ausgezeichneten Tagungslocation am ETH AI Center und dem großen Engagement aller Ausrichtenden wertvolle Einsichten in eine recht unterschiedlich ausgeprägte Veränderungs- und Innovationsfähigkeit von Hochschulen im Kontext der digitalen Transformation von Lehre und Forschung.
Bildquelle: ETH AI Center