Mit dieser Frage setzte ich mich gemeinsam mit den 5 weiteren Mitgliedern der Ad-hoc Arbeitsgruppe Lernarchitekturen des Hochschulforum Digitalisierung für den Zeitraum eines Jahres intensiv auseinander. Das Ergebnis dieses Prozesses ist jetzt in Form des HFD Arbeitspapiers Nr. 44 unter dem Titel „Zukunftsfähige Lernraumgestaltung im digitalen Zeitalter“ verfügbar.
Ausgangspunkt unserer Überlegungen war die Frage, über welche überfachlichen Kompetenzen Studierende beim Verlassen einer Hochschule verfügen sollten und wie und unter welchen Rahmenbedingungen ihnen diese Zukunftskompetenzen (so genannte Future Skills bzw. 21st Century Skills) vermittelt werden könnten. Dabei war für uns insbesondere von Interesse, welche räumlichen Strukturen hierfür notwendig sind. Aber auch die sich verändernde Rolle der Hochschulen als Anbieter von Formaten des lebenslangen Lernens und deren Third Mission, sowie die sich im Rahmen der Digitalisierung ergebenden neuen Lehr- und Lernmöglichkeiten beeinflussten unsere Überlegungen maßgeblich.
In einem interdisziplinären und diskursiven Prozess näherten wir uns im Zuge vierer Präsenz- und mehrerer Online-Treffen der Thematik und betrachteten diese aus unserer jeweils individuellen fachlichen Perspektive. Deutlich wurde hierbei, dass eben dieser multiperspektivische Ansatz sich als sehr sinnvoll und hilfreich erwies und auch in der späteren Anwendung und Umsetzung der in der Arbeitsgruppe erarbeiteten Ergebnisse eine große Rolle spielen sollte.
Die Arbeitsergebnisse der Gruppe sind in drei Themenblöcken festgehalten, die jeweils mit 5 Thesen gestützt werden:
Der Themenblock I – Gestaltung von Lernarchitekturen – eine organisationale Perspektive behandelt die Frage der Strategie, der Lehr- und Lernphilosophie und der Infrastruktur.
Es wird für einen multiperspektivischen Zugang zum Thema Lernarchitekturen plädiert, der strategische, strukturelle, kulturelle und individuelle Aspekte berücksichtigt. Hierbei spielt ein neuer Blick auf die Bedeutung der Gestaltung von Lernräumen als strategischem Kernbereich in Einklang mit einer festegelegten Lehr- und Lernphilosophie eine große Rolle. Ebenso ist die digitale Infrastruktur von Bedeutung, da sie erheblich zur Wirksamkeit der Lehr- und Lernphilosophie beiträgt. In Bezug auf die Lehrenden muss Akzeptanz geschaffen werden, und es muss in der Organisation selbst eine Kultur verankert werden, die „die sozialen Praktiken, individuellen Einstellungen, Verhaltensweisen und Handlungen des Einzelnen im Umgang mit den neuen Technologien“[1] prägt. Letztlich muss sich die gesamte Hochschule zu einem atmenden System entwickeln, um den sich stetig wandelnden und weiterentwickelnden gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden.
Themenblock II – Zukunftsorientiertes Lehren und Lernen setzt sich mit der Frage auseinander, welche Kompetenzen bei Lehrenden und Lernenden gefördert, welche Rollenbilder etabliert werden müssen und welche Rolle der Raum in diesem Zusammenhang spielt.
So wird dafür pladiert, neben der Vermittlung von fachorientiertem Wissen und Kompetenzen auch die Vermittlung der „21st Century Skills“, also der Zukunftskompetenzen, die die Studierenden im späteren Berufsleben benötigen, stärker in den Fokus zu rücken. Dazu bedarf es eines erweiterten Verständnisses von Wissen und die entsprechenden Fähigkeiten, Möglichkeiten und Rahmenbedinungen, dieses erweiterte Wissen auch zu dokumentieren und zu vermitteln. Neben der Bereitstellung von adäquaten physischen und virtuellen Lehrräumen, benötigen Studierende wie Lehrende auch eine entsprechende „Raumkompetenz“, um die Möglichkeiten dieser Räume verstehen und nutzen zu können. Auch die Rollenbilder wandeln sich in diesem Zusammenhang, hin zu mehr Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten für die Studierenden und zu einer stärkeren Funktion als Lernbegleitende für die Lehrenden.
Themenblock III – Dimensionen zukunftsfähiger Lernraumgestaltung stellt den Menschen in den Mittelpunkt und geht der Frage nach, wie virtuelle und physische Lernräume zusammengeführt werden können.
Das Angebot an Lernräumen sollte die individuellen Nutzerbedürfnisse abbilden und zugleich die institutionelle Lehr- und Lernphilosophie widerspiegeln. Möglichst viele gleichstrukturierte „nutzungsoffene“ Räume anzubieten, kann hier keine Lösung sein. Allerdings beschränken zu viele konkret nutzungsbestimmte Räume die Vielfalt an Handlungsoptionen. Die Lösung könnte in einem breiten Lernraumportfolio liegen, das die Heterogenität der Studierenden, der Studieninhalte und auch der verschiedenen Hochschulen abbildet und verdeutlicht. Auch die integration digitaler Medien und die Anreicherung und Erweiterung der physischen Lernräume durch virtuelle Inhalte ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung.
Deutlich wird, dass es bei der
zukünftigen Gestaltung von Lehr- und Lernräumen nicht darum gehen kann,
vorhandene Flächen mit möglichst viel
moderner Technik auszustatten, sondern dass es eines strategischen
Gesamtkonzepts bedarf, das die Anforderungen von Didaktik und Organisation auf
räumlicher Ebene zusammenführt. Hierbei steht stets der Mensch im Mittelpunkt
und nicht die Technik. Entsprechend müssen an
einer Umsetzung der oben dargestellten Handlunsgoptionen viele verschiedene Akteure
beteiligt werden. So sind Hochschulleitungen, Didaktikbeauftragte, IT- sowie
Infrastruktur-Verantwortliche ebenso zu involvieren wie Lehrende und
Studierende, die ihre fachlichen und didaktischen Kompetenzen bzw. ihre
persönlichen Bedürfnisse und Vorstellungen in die Entwicklung und Umsetzung der
(mediengestützten) Lehr-Lern-Szenarien einbringen sollen. Nur so kann zukunftsfähige
Lernraumgestaltung im digitalen Zeitalter gelingen.
[1] Günther, D., Kirschbaum, M, Kruse, R., Ladwig, T., Prill, A., Stang, R., Wertz, I. (2019). Zukunftsfähige Lernraumgestaltung im digitalen Zeitalter. Thesen und Empfehlungen der Ad-hoc Arbeitsgruppe Lernarchitekturen des Hochschulforum Digitalisierung. Arbeitspapier Nr. 44. Berlin: Hochschulforum Digitalisierung, S. 25.