Die Prüfungspraxis an den Hochschulen sieht sich in den 2020er Jahren mit Herausforderungen konfrontiert, wie es sie in kaum einem vorangehenden Jahrzehnt gegeben hat. Während die COVID-19-Pandemie zu einer rasanten Umstellung auf digitale (Fern-)Prüfungsformate an den Hochschulen führte, bewirkte die Veröffentlichung des Machine Learning-basierten Chatbots ChatGPT, dass das bisherige System der Überprüfung akademischer Lernleistungen mittels Klausuren, Tests und Hausarbeiten unversehens grundsätzlich in Frage zu stehen scheint. In Zusammenhang mit weitreichenden Anpassungen bei der räumlichen, technischen und organisatorischen Rahmung von Prüfungen galt es schon während der Pandemie zu prüfen, wie eine rechtssichere Klausuraufsicht bei Online-Prüfungen gelingen könne. Durch neue KI-Technologien haben sich die Herausforderungen in Zusammenhang mit Betrugsfällen in Prüfungssettings verschärft, doch haben sich auch Chancen zur Weiterentwicklung der Prüfungskultur ergeben.
Der durch digitale Technologien bedingte rasche Wandel der Prüfungspraxis an den Hochschulen hat eine Fortschreibung der rechtlichen Bestimmungen und eine Überprüfung der regulatorischen Rahmenbedingungen auf Landesebene erforderlich gemacht. In diesem Sinne hatte das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg (MWFK) den staatlichen Hochschulen des Landes ab dem Wintersemester 2020/2021 die Durchführung digitaler Distanzprüfungen zunächst für einen begrenzten Zeitraum gestattet und eine gemeinsame Evaluierung des Wissenschaftsministeriums und der Hochschulen nach drei Semestern verfügt. Im Zuge dieser Evaluierung sollte gemeinsam entschieden werden, ob und unter welchen Maßgaben die Online-Prüfung dauerhaft als Prüfungsform durch die Hochschulen Brandenburgs angeboten werden kann.
Der Bericht „Evaluation zum Thema Online-Prüfungen“, der nunmehr in aggregierter Fassung vorliegt, fasst ausgewählte Ergebnisse dieser Evaluierung, die HIS-HE im Auftrag des MWFK im vergangenen Jahr durchgeführt hat, zusammen. Im Rahmen des Berichts werden die Ergebnisse einer Literatur- und Dokumentenanalyse sowie eine Auswertung verschiedener empirischer Erhebungen in Auszügen vorgestellt. Dabei zeigten sich an den Hochschulen zum Teil divergente Einschätzungen schriftlicher digitaler Distanzprüfungen, die nur in ausgewählten Kontexten weiter genutzt werden sollten, und mündlicher digitaler Distanzprüfungen, die u. a. in organisatorischer und rechtlicher Hinsicht deutlich weniger kontrovers beurteilt wurden.
Einen Schwerpunkt des Berichts bildet eine umfangreiche rechtliche Analyse, in der Dr. Friedrich Stratmann, HIS-HE-Geschäftsführer i. R., Auswirkungen der Maßgaben des Landes Brandenburg zu Online-Prüfungen an den Hochschulen in rechtlicher Sicht unter Berücksichtigung der mittlerweile erfolgten bundesweiten Rechtsprechung untersucht. In diesem Zusammenhang werden prüfungsrechtliche Anforderungen, Bedingungen und Maßnahmen erörtert, darunter Aspekte der Täuschungsabwehr in Online-Prüfungen, der (Video-)Aufsicht, Videoaufzeichnungen und Authentifizierung bei Online-Prüfungen sowie technische Störungen. Auch datenschutzrechtliche Anforderungen, Bedingungen und Maßnahmen werden punktuell in der Analyse berücksichtigt. Im Anschluss an eine Zusasmmenfassung der Evaluationsergebnisse bietet der Bericht Handlungsempfehlungen zur künftigen Nutzung von Online-Prüfungen, die gleichermaßen die staatlich-regulatorische wie auch die hochschulische Ebene adressieren.
Download: Evaluation zum Thema Online-Prüfungen. Analyse methodisch-technischer, didaktischer und rechtlicher Aspekte der Praxis digitalisierter Prüfungen im Kontext der Covid-19-Pandemie. Hannover: HIS-HE 2023, Link.
Bildquelle: Pixabay/Gerd Altmann