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Nachhaltigkeit

Eine Auseinandersetzung mit dem Dreisäulenmodell der Nachhaltigkeit

Wir haben es geschafft, dass alle über Nachhaltigkeit reden. Kein Werbespot geht mehr an uns vorbei, ohne uns zu versichern, wie nachhaltig ein Unternehmen ist oder bald sein wird. Selbst die FIFA Weltmeisterschaft in Qatar will klimaneutral sein (Streule & Wörz, 2022). Spätestens das zeigt: Mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ kann man mittlerweile viel Geld verdienen.

Das lässt wiederum darauf schließen, dass das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung in der Gesellschaft angekommen und akzeptiert ist (zumindest scheint dies aus westlicher Perspektive eine valide Beobachtung). Das ist gut. Sobald „Nachhaltigkeit“ aber werbewirksam geworden ist, wird die breite Auslegung und das sich teilweise stark unterscheidende Verständnis des Begriffes zur Brutstätte für Greenwashing.

Unternehmen ist da vielleicht gar kein großer Vorwurf zu machen, denn sie sind zum Teil verpflichtet, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Große Unternehmen, das heißt mit mehr als 500 Beschäftigten und börsennotiert, sind seit 2017 seitens der EU verpflichtet, einen Nachhaltigkeitsbericht zu verfassen (Deutscher Bundestag, 2017). Eine verbreitete Richtlinie zur Berichterstellung sind die Global Reporting Initiative (GRI) Standards, auf denen auch die Nachhaltigkeitsberichte einiger Hochschulen basieren (u.a. Universität Hamburg und Universität Oldenburg). Neben ökologischen Indikatoren werden darin vor allem auch soziale und ökonomische Aspekte abgefragt.

Dies geht wiederum auf das Dreisäulenmodell oder die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit zurück – Ökologie, Soziales, Wirtschaft. Diese Interpretation von Nachhaltigkeit ist heutzutage in den meisten Kreisen etabliert und ist zum Beispiel auch Grundlage der Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen.

Die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen (© United Nations)

Das Dreisäulenmodell ist jedoch nicht unumstritten. Einige argumentieren, dass ohne den Erhalt unserer Umwelt (die ökologische Dimension) das Erreichen sozialer oder wirtschaftlicher Ziele nicht möglich ist. Manchmal sind deshalb die Dimensionen nicht als gleichwertig, sondern in einer Hierarchie dargestellt. Ein Verfechter der These, dass Umweltbelangen eine vergleichsweise höhere Relevanz zukommen sollte, ist zum Beispiel der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (Deutscher Bundestag, 2002).

Ökologische Nachhaltigkeit (sozusagen als Ziel nachhaltiger Entwicklung) ist wohl am einfachsten greifbar, immerhin stammt der Begriff Nachhaltigkeit ursprünglich aus der Fortwirtschaft. Dazu muss unser Ressourcenverbrauch natürlich regenerierbar sein. Negative Einflüsse auf die Umwelt müssen minimiert werden (Erreichen von Klimaneutralität, Stopp des Biodiversitätsverlustes, etc.).

Unklar ist, wann in der sozialen und der ökonomischen Dimension Nachhaltigkeit erreicht ist. Soziale Nachhaltigkeit könnte bedeuten, dass Chancengerechtigkeit herrscht, was wiederum impliziert, dass Armut und Hunger der Vergangenheit angehören, alle Menschen Zugang zu Bildung haben, in Frieden leben, etc. Mit anderen Worten soll langfristig der Wohlstand der gesamten Menschheit gesichert sein.

Wirtschaftliches Wachstum ist dazu sicherlich eine Voraussetzung, zumindest in Entwicklungsländern. Inwiefern Industrieländer noch auf wirtschaftliches Wachstum angewiesen sind, müssen Wirtschaftswissenschaftler:innen beantworten. Überraschend ist dennoch, dass die SDGs (Ziel 8) explizit und undifferenziert wirtschaftliches Wachstum vorsehen.

Die ökonomische Dimension ist problematisch, denn die Begriffe Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit meinen auf Betriebsebene eigentlich dasselbe. Ein Betrieb (auch der „Betrieb“ Hochschule) muss wirtschaftlich (oder auch wettbewerbsfähig) sein, um langfristig existieren zu können. Wenn ein Betrieb ökologisch und sozial nachhaltig wirtschaften soll, was bedeutet es dann genau, wirtschaftlich nachhaltig zu sein? Der monetäre Aspekt hat mit Nachhaltigkeit meines Erachtens nichts zu tun. Ein Vorschlag zur näheren Definition von wirtschaftlicher Nachhaltigkeit wäre daher: Wenn wirtschaftliche Aktivität keinen Einfluss mehr auf die Umwelt (und das Wohl der Gesellschaft) hat, also Entkopplung stattfindet. Oder auf Betriebsebene: Wenn Profitmaximierung nicht mehr das exklusive Ziel eines Unternehmens ist.

Die wichtigste Erkenntnis wäre dann, wie Entkopplung im Entwicklungsprozess gelingt. Die Hypothese der Umwelt-Kuznets-Kurve beispielsweise besagt, dass Emissionen mit zunehmendem Pro-Kopf-Einkommen zunächst zu-, ab einem bestimmten Zeitpunkt aber wieder abnehmen (Agarwal, 2022). In der Praxis konnte das nur vereinzelt bestätigt werden. Die Idee der Entkopplung ist auch für Hochschulen relevant: Wie können die Studierendenzahlen erhöht werden, ohne dass der Ressourcenverbrauch wächst? Wie kann Internationalisierung erfolgen, ohne die Anzahl von Flugreisen und damit Treibhausgasemissionen zu erhöhen?

Wenig thematisiert wurde bisher, dass das Dreisäulenmodell eindeutig Zielkonflikte hervorruft. Dies äußerst sich dann in absurden Resultaten. Beispielsweise zeigte 2021 eine Studie, dass viele Aktienfonds mit dem Nachhaltigkeitslabel ESG in Öl- und Gasunternehmen investieren (von Ondarza, 2021). Hintergrund ist, dass der Herausgeber eines Fonds mit ESG-Label den Begriff „Nachhaltigkeit“ selbst definieren kann. Er muss diese Definition nur transparent machen. You see the problem here?

Insgesamt sind alle Zielsetzungen, die im Dreisäulenmodell (und demzufolge den SDGs) vereint werden, zweifelsohne richtig und essentiell für den Schutz unserer Umwelt (inklusive des Klimas) sowie langfristigen Wohlstand. Ein Verweis auf SDG 16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen) scheint in der aktuellen Situation angebracht, denn ohne Frieden kann Wohlstand nicht erreicht werden. Nachhaltige Entwicklung scheint aktuell fragil und bereits durch die Irrationalität einzelner Individuen bedroht.

Die breite Interpretation des Begriffes „Nachhaltigkeit“, fehlende Abgrenzung (ökologisch, sozial, ökonomisch schließt eigentlich das gesamte menschliche Leben ein) und Ungewissheit darüber, wann nachhaltige Entwicklung erreicht ist, machen es aktuell einfach, den Begriff werbewirksam zu nutzen, ohne wirklich einen essentiellen Beitrag leisten zu müssen. Nicht nur in der Privatwirtschaft, auch in der Politik schafft das aktuelle Verständnis (oder Unverständnis) von Nachhaltigkeit eine komfortable Gelegenheit zum Nicht-Handeln.

Diese Schlussfolgerung kann nun diskutiert und angefochten werden; Fakt ist aber, dass nationale und internationale Klimaziele nicht erreicht werden, Biodiversitätsverlust weiter voranschreitet und auch (wenn man nun wieder die soziale und ökonomische Dimension berücksichtigt) Hunger und Armut bis 2030 voraussichtlich nicht Geschichte sind, wie von den Vereinten Nationen vorgesehen. Sechs von neun planetaren Grenzen sind mittlerweile überschritten, erst in diesem Jahr kamen neuartige Stoffe (Plastik, Chemikalien, etc.) und die Süßwassernutzung (genauer gesagt das Wasser, das Pflanzen zur Verfügung stehen müsste, sogenanntes „grünes Wasser“) hinzu (Wang-Erlandsson et al., 2022). Und den Erdüberlastungstag dürfen wir jedes Jahr etwas früher „feiern“ – am 28. Juli waren bereits alle erneuerbaren Ressourcen für dieses Jahr aufgebraucht (WWF, 2022). 2000 war es noch der 23. September.

Somit bleibt der Eindruck, dass das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung mittlerweile in der Gesellschaft etabliert ist, aktuelle Maßnahmen sowohl im öffentlichen als auch privatwirtschaftlichen Sektor aber noch nicht ausreichen, um wirklich eine Transformationswirkung zu erzielen. Das Dreisäulenmodell leistet zu ungenügendem Fortschritt in der nachhaltigen Entwicklung meiner Meinung nach, wenn auch unbeabsichtigt, einen Beitrag.

Literatur:

Bildquellen: Wikipedia (Artikel: Sustainable Development Goals); Pixabay/ Oliverstar

Titelbild: geralt_pixabay


Philipp Nußbaum