Frau Prof. Dr. Barlösius im Interview
…ganz im Sinne von Humboldt: „die Lehre ist das, was die Lehrenden und die Studierenden zusammen zu meistern haben“.
Nachdem wir im vergangenen Jahr unsere studentische Mitarbeiterin Veronika Graceva zum Corona-Studienstart interviewt haben, freuen wir uns nun, einen Perspektivwechsel vorzunehmen und Ihnen einen Einblick in die Sicht einer Leitenden und Lehrenden an der Leibniz Universität in Hannover zu geben: Im Interview berichtet Prof. Dr. Barlösius unserer Studentin Veronika von den Auswirkungen der Pandemie auf die Lehre, der damit verbundenen digitalen Adhoc-Umstellung und der Notwendigkeit des Zusammenhalts in einer solchen Zeit.
Veronika: Liebe Prof. Barlösius, Sie sind Professorin für Makrosoziologie und Sozialstrukturanalyse an der Leibniz Universität Hannover. Zudem leiten Sie den Masterstudiengang Wissenschaft und Gesellschaft im Rahmen dessen Sie die Studierenden durch das erste eigene Forschungsprojekt begleiten. Im Frühjahr hatten wir alle mit Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie umzugehen gelernt. Vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben, mit mir über die digitale Umstellung in der Hochschullehre zu sprechen.
Wie hat die Universität auf die Krise reagiert und inwiefern haben Sie sich unterstützt gefühlt?
Prof. Barlösius: So generell für die Universität kann ich das nicht sagen. Relativ nah am Beginn des Sommersemesters war klar, das Sommersemester wird online sein. Was genau das sein wird, war mir eigentlich nicht klar. Ich muss gestehen, dass ich mich zuvor in diesen technischen Sachen gar nicht auskannte. Ich nicht wusste, wie das mit Video-Lehre funktionieren soll und bin deshalb sehr stark in die Schriftlichkeit gegangen, also mit ganz vielen Übungen für Studierende.
Dann polterten unglaublich schnell die unterschiedlichen Videokonferenzformate auf mich nieder, womit ich erstmal gar nicht umgehen konnte. Der technische Dienst hat bei uns an der LUH mehrere Supportnummern freigeschaltet, wo ich fast jeden Tag anrufen musste und jedes Mal haben sie mir ein neues Videokonferenzformat aufs Notebook gespielt. Am Schluss hatte ich mindestens zehn dieser Formate. Ich muss schon sagen, sie haben das super gemacht, der technische Servicedienst hat mir sehr geholfen, einen Durchblick in diesen unterschiedlichen Tools zu bekommen. Ein Kollege hat mir noch rechtzeitig empfohlen, mir ein Headset zuzulegen, ich hatte ja nicht mal das (lacht).
Veronika: Ich denke, so ging es den meisten Menschen im Sommersemester. Sie haben das ja trotzdem geschafft, unser Interview über Videokonferenz funktioniert doch sehr gut.
Prof. Barlösius: Ja, ich kenne KollegInnen, die da viel offener waren, aber ich bin richtig zwangsdigitalisiert worden.
Veronika: Hatten Sie noch andere Schwierigkeiten oder Sorgen in Bezug auf die digitale Umstellung?
Prof. Barlösius: Ich bin eine Person, die zu Hause kein Internet hat. Und zwar aus folgendem Grund: Ich bin jeden Tag in der Uni, von morgens bis abends habe ich einen guten Internetzugang. Zu Hause, am Abend oder am Wochenende möchte ich das nicht haben, da möchte ich in Ruhe schreiben können. Meine größte Sorge war, die Uni könnte ganz zugemacht werden, und dann kann ich keine digitale Lehre machen. Das ist zum Glück nicht eingetreten, das Unigebäude wurde nur für Außenstehende geschlossen. Die MitarbeiterInnen sind hier alle in Einzelbüros und halten natürlich Abstand. Bislang habe ich mir immer noch kein Internet geholt. Ich lehne die Technik nicht ab, aber ich finde, es muss Orte geben, an denen es kein Internet gibt. Und das ist bei mir zu Hause.
Veronika: Was waren die größten Herausforderungen im Umgang mit Studierenden in der virtuellen Lehre?
Prof. Barlösius: Es waren insgesamt drei Punkte. Erstens, am Anfang des Sommersemesters sind wir sehr stark ins Schriftliche gegangen und haben von den Studierenden zu viele Leistungen erwartet. Wir haben sehr viel schriftlich kommentiert und wieder zurückgeschickt, das war eine unglaubliche Belastung für die Studierenden. Leider sieht jede/r DozentIn nur die eigene Lehre und nicht das ganze Arbeitsaufkommen für die Studierenden. Aber auch für uns war das ein riesiges Arbeitsaufkommen. Ich habe tagelang Ausarbeitungen von Studentinnen und Studenten schriftlich kommentiert. Zusätzlich ist das vom Tonfall her viel schwieriger. In einer normalen Besprechung kann man ja z.B. sagen: „Passen Sie mal auf, machen Sie es doch anders“. In schriftlicher Form kommt sowas viel härter rüber als man es eigentlich sagen möchte. Es war schwer, Studentinnen und Studenten zu betreuen, die mit ihrem eigenen Forschungsprojekt anfangen. Wir wollen sie ja gut betreuen, sie brauchen deshalb eine klare Aussage, damit sie ihr Projekt bestmöglich vorbereiten können. Aber den passenden Tonfall schriftlich zu formulieren, ist nicht einfach.
Das Nächste, was sehr irritierend war: Die Studentinnen und Studenten sind ungern mit eingeschaltetem Mikro in die Konferenz rein. Das konnte ich am Anfang gar nicht glauben. Aber dann habe ich so viele verzweifelte Studentenmails bekommen, die sagen, was für eine schlechte Internetverbindung sie haben und dass sie so viel nicht mitkriegen im Onlineseminar. Und das ist ja überhaupt nicht ihre Schuld. Ich meine, bei den allgemeinbildenden Schulen hat man gesagt: „Da gibt es keine ausreichende technische Ausstattung“ und an der Hochschule sagte man: „Technische Ausstattung ist überhaupt kein Problem“. Aber das stimmt objektiv nicht, also für mich stimmte es nicht und für viele Studentinnen und Studenten stimmt es nicht.
Und der Punkt ist, den wirklich viele KollegInnen von mir bemängeln: „Ich habe keine Lust mehr auf schwarze Kacheln zu gucken.“ Ton aus, Video aus, keine Reaktion auf die Fragen in Seminar. Ich sage dann ganz oft: “Hallo, ist das jetzt verständlich gewesen, sind Sie noch dabei?“. Also eine Verhaltensunsicherheit auf meiner Seite in der Lehre. Ich weiß einfach nicht, ist das verständlich, ist das nicht verständlich, muss ich nochmal was wiederholen? Manchmal sind die Studentinnen und Studenten nicht vorbereitet, wenn die Veranstaltung in Präsenz ist, dann sieht man das ja. Und dann nehme ich sie wahrscheinlich eher nicht dran. Also Verhaltensunsicherheit, weil man aus den Gesichtern nichts lesen kann und man dann nicht weiß, wie man reagieren soll.
Veronika: Das kann ich total gut nachvollziehen! Und wenn dazu noch die Verbindung schlecht ist, kann man sich fast unmöglich so lange vor dem Bildschirm konzentrieren.
Prof. Barlösius: Ja sicher. Rein körperlich ist es schwierig – acht Stunden wie erstarrt vor dieser Kiste sitzen. Normalerweise laufe ich während der Veranstaltung rum und bewege mich durch den Raum. In der digitalen Lehre sitzen wir den ganzen Tag vor dem Monitor, das beansprucht auch die Konzentration. Im April fangen wir mit einem Forschungsprojekt zu diesem Thema an. Auf die Ergebnisse sind wir alle schon gespannt.
Veronika: Super, das klingt sehr interessant. Dann möchte ich Ihnen eine Frage zu den Aussichten der digitalen Lehre stellen. Trotz all dieser Anstrengungen, gibt es etwas Positives, was Ihnen auffällt? Was würden Sie auch in der Zukunft behalten wollen?
Prof. Barlösius: Also was ich tröstlich und nett finde, sind die Studenten und Studentinnen. Das sind tatsächlich die Helden und Heldinnen dieser Corona-Lehre. Erstens, weil sie das alles so mitmachen, was man sich für die digitale Lehre ausgedacht hat. Ich mache ja einiges anders, als in der normalen Lehre und freue mich sehr und bin dankbar, dass die Studenten und Studentinnen das annehmen. Ganz basal , dass sie mir auch technisch helfen. Wenn ich im Seminar sage: „Ich weiß nicht, wie geht das denn jetzt?“ Dann navigieren sie mich da durch und sagen, wo ich hinklicken soll. Ich denke, das ist ganz im Sinne von Humboldt: „die Lehre ist das, was die Lehrenden und die Studierenden zusammen zu meistern haben“. Das ist uns allen unter Corona-Bedingungen noch einmal bewusst geworden. Es geht nur, wenn wir die Gestaltung der Lehre als eine gemeinsame Aufgabe begreifen. Die Studenten helfen mir, die technischen Hürden zu meistern und ich helfe ihnen, den Lernstoff bestmöglich zu verstehen, als wäre es Präsenzlehre. Und sie helfen auch diese Sozialität herzustellen. Ich finde es total rührend, wenn die Studierenden sich im Chat bedanken für die Antworten. Das habe ich schon mehreren erzählt und habe gesagt, dass wir von der Höflichkeitsform von den Studenten viel lernen können. Die Studentinnen und Studenten sind für mich die Helden der digitalen Lehre, weil sie verstanden haben, dass wir das nur gemeinsam meistern können und uns gegenseitig unterstützen müssen.
Veronika: Mir ist auch schon aufgefallen, wie hilfsbereit und unterstützend die Studierendengruppe ist. Wie wird denn Ihrer Meinung nach die Hochschule Post-Corona aussehen? Bzw. wie sähe das „Neue Normal“ aus?
Prof. Barlösius: Ich weiß es nicht, das ist eine Frage, die wir alle diskutieren. Ich kann mir vorstellen, dass wir eine unglaubliche Sehnsucht entwickeln, Menschen wieder zu sehen. Ich entwickle sogar eine wahnsinnige Sehnsucht, wieder Bahn zu fahren (lacht) also was man früher ja nicht für möglich gehalten hat. Ich vermisse auch die Nebenbeigespräche, wenn man sich bei einer Konferenz in der Pause über den Weg läuft. Ich weiß nicht, wie stark diese Bedürfnisse sein werden, das müssen wir glaube ich abwarten. Nehmen wir mal an, wir hätten nicht Corona, dann wären Sie wahrscheinlich gekommen und wir hätten uns gegenübergesessen und Kaffee getrunken. So etwas vermisse ich schon und finde es soziologisch sehr interessant. Es gibt in der Volkskunde Untersuchungen darüber, welche Entfernungen zwischen zwei Menschen im Gespräch als normal wahrgenommen werden. Wir Norddeutschen stehen weiter auseinander als die Süddeutschen oder die Rheinländer. Augenblicklich sind wir ja noch distanzierter. Wenn man jetzt einen alten Film schaut, erschreckt man sich richtig, wenn dort so viele Menschen eng zusammenstehen sieht. Aber wir können nicht wissen, was passiert, das bleibt ein Experiment.
Veronika: Welche Empfehlungen hätten Sie an Ihre KollegInnen und Studierenden, damit ihnen das Studieren und Lehren während der Corona-Pandemie gelingt?
Prof. Barlösius: Vertrauen in Menschen, unter schwierigen Bedingungen Sozialität leben und aufrechterhalten zu können. Das ist für mich die Hauptempfehlung. Wir wissen zwar aus unterschiedlichen Krisensituationen in der Vergangenheit, dass Menschen in der Lage sind, sich mit verschiedenen Situationen zu arrangieren und dass sie trotzdem Verhaltensweisen und Umgangsformen ausbilden können, die gegenseitige Achtung und Respekt beinhalten. Im Grunde genommen ist das total lächerlich für eine Soziologin, dass ich am Anfang bei den Videokonferenzen dachte: Das ist das Ende von Sozialität. Gleichzeitig weiß ich, dass ein Medium das andere ablöst. Also fangen wir an mit Cervantes mit den Romanen: oh der Weltuntergang. Also das Buch als Medium, dann kam das Telefon und Fernsehen und bei jedem Schritt wurde die Auflösung der Sozialität befürchtet. Und eigentlich wissen wir historisch, dass es Quatsch ist. Aber diese Befürchtung hatte ich trotzdem auch und habe die Videokonferenzen abgelehnt und glaubte nicht, dass das funktionieren kann. Aber dann haben wir Verhaltensstandards entwickelt und haben dazu gelernt. Als Menschen haben wir eine große Fähigkeit, Situationen menschlich zu gestalten, aber auch die Verantwortung dazu. Und das ist meine wichtigste Botschaft: Wir werden das meistern. Vertrauen wir, dass Menschen in verschiedensten Situationen in der Lage sind, Verhaltensweisen herauszubilden, die wirklich gegenseitigen Respekt und Anerkennung enthalten. Das ist es, was man lernen kann.
Veronika: Ich danke Ihnen herzlich auch im Namen des gesamten DigiBlog-Teams für das spannende Gespräch und wünsche Ihnen weiterhin gutes Gelingen bei der Online Lehre und die besten und motiviertesten Studenten für Ihre Seminare!
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