Innovative Raumkonzepte an niederländischen Hochschulen
Ein Kochbuch für Lehr- und Lernräume? Das klingt ungewöhnlich, aber genau so eines hat die TU Delft im Jahr 2016 erstmals aufgelegt und im Jahr 2018 im Rahmen einer Überarbeitung ergänzt. Das „Cookbook Education Spaces“, wie es im Original heißt, beinhaltet theoretische und praktische Hinweise zur zeitgemäßen Nutzung und Einrichtung von Lehr- und Lernräumen und dient Planern, Architekten, Lehrenden und weiteren Akteuren als Orientierungshilfe. Erdacht hat es die Taskforce Education Spaces der TU Delft, eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe, die aus Vertretern des Real Estate Managements, des Facility Managements und des Departments Information & Communication Technologies besteht. Diese Herangehensweise an das Thema Lehr- und Lernräume erschien uns gleichermaßen innovativ wie sinnvoll und erweckte, genau wie das Projekt „Innovation Space“ der TU Eindhoven, das den Kooperations- und Kollaborationsgedanken räumlich aufgreift und umsetzt, unser Interesse. Neugierig geworden auf die praktische Umsetzung brach im November 2019 eine kleine Gruppe aus MitarbeiterInnen von HIS-HE und dem BLB NRW in die Niederlande auf, um sich vor Ort einen Eindruck zu verschaffen.
Erstes Ziel war dabei die TU Delft mit der „BK City“, dem Gebäude der Fakultät Bouwkunde (Architektur). Diese kam nach einem Brand im Jahr 2008 zunächst vorübergehend -und nach einer Phase der Eingewöhnung dann doch dauerhaft- in dem Altbau mit 4.000 m² weniger Fläche als zuvor unter und ist damit dennoch sehr glücklich. Das reduzierte Raumangebot und die Flächenstruktur des Gebäudes der alten Fakultät für Chemie zwangen die Planer zum Umdenken und zur Entwicklung neuer Konzepte. In diesem Zuge wurden sämtliche Einzelbüros aufgelöst und sowohl Lehrende als auch Verwaltungsmitarbeiter in Großraumbüros untergebracht. Zudem findet sich nur eine sehr reduzierte Anzahl klassischer Lehrräume. Der überwiegende Teil der Lehre findet in Kleingruppen auf großen Flächen statt, die nur durch lange Tische, die den jeweiligen Gruppen zugeordnet sind, untergliedert werden. Dazu gibt es viele Atelierflächen, unter anderem auf den zwei verglasten Innenhöfen, auf denen die Studierenden selbstorganisiert arbeiten können. Ergänzt werden diese durch eine Vielzahl an Versorgungsangeboten wie z.B. einer unmittelbar räumlich an die Atelierflächen angrenzenden Cafeteria. Auffallend ist, dass Transparenz in diesem Konzept eine große Rolle spielt, sowohl in räumlicher und baulicher Hinsicht als auch im Blick auf die Nutzung der Lehr-, Lern- und Praktikumsflächen. Auf diese Weise wird die Entwicklung der Arbeiten der Studierenden aber auch der Lehrenden verfolgbar und es ergeben sich Synergieeffekte, die beim Arbeiten hinter verschlossen Türen nicht zustande kommen würden. Auch die Nutzungsdurchmischung und die Einbettung der Versorgungseinrichtungen in die Lehr- und Lernlandschaft werden von den NutzerInnen als inspirierend und die Gemeinschaft fördernd erlebt.
Nach der Besichtigung der BK City widmeten wir uns dann dem 2018 neu eröffneten Gebäude PULSE, einem zentral gelegenen Lehr- und Lerngebäude, das allen Fakultäten zur Nutzung zur Verfügung steht. Es bietet eine große Anzahl an technisch umfangreich ausgestatteten, flexiblen Lehrräumen verschiedener Größen und zahlreiche Flächen für das studentische Selbststudium, sei es in Gruppen oder allein. Die hohe Aufenthaltsqualität wird durch ausgedehnte Öffnungszeiten (Mo-So 8:00-24 Uhr) und eine abwechslungsreiche Gastronomie, bestehend aus mehreren Food-Ständen, deren Betreiber mehrmals jährlich wechseln, noch gesteigert. Das Angebot und die Ausstattung des Gebäudes wurden in enger Zusammenarbeit mit den Studierenden festgelegt. Resultat sind nutzernahe Einrichtungen wie z.B. eine große Anzahl an Schließfächern für persönliche Gegenstände und beschreibbare Wände in den Lehr- und Lernräumen. Räumlich grenzt das Gebäude an das Teaching Lab, das Studierenden und Lehrenden zur Erprobung neuer und innovativer Lehrkonzepte zur Verfügung steht, und an das Gebäude des Industrial Design, das mit seinem Konzept der Flächendurchmischung und einem Arena-Hörsaal ebenfalls großen Eindruck bei uns Besuchern hinterließ. In diesem Gebäude des Industrial Design befindet sich auch die Keimzelle des Cookbook Education Spaces, da hier die ersten Anwendungen, wie z.B. drehbare Tische und Stühle zur Erleichterung von Kleingruppenarbeiten, räumlich erprobt und weiterentwickelt wurden.
Nach einem ereignis- und lehrreichen Tag, hervorragend organisiert und betreut durch Piet van der Zanden und seine Kolleginnen von der Taskforce Education Spaces, machten wir uns auf den Weg nach Eindhoven, um den dortigen Innovation Space in Augenschein zu nehmen.
Die TU Eindhoven ist, wie die TU Delft, die TU Twente und die TU Wageningen, Teil des Bündnisses 4TU, dessen Motto lautet: „Innovating engineering education for tomorrow‘s engineers“. Mit ihrer Strategie 2030 „Drivers of change“ hat die TU Eindhoven das Ziel ausgerufen Bildung und Forschung zu vereinen, eine enge Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Partnern zu fördern und eine erhöhte Lernqualität bei gleichzeitig steigenden Studierendenzahlen zu gewährleisten. Möglich werden soll dies unter anderem durch die Förderung interdisziplinären, herausfordernden und problembasierten Lernens. Um diesem Ansatz eine Heimat auf dem Campus zu geben, wurde 2018 der „Innovation Space“ etabliert.
Der Innovation Space ist eine Einrichtung, die fächerübergreifendes, praktisches Lernen und Unternehmertum ermöglicht und fördert und dabei den Community-Gedanken in den Vordergrund stellt. Studierende lernen hier mit komplexen gesellschaftlichen und industriellen Herausforderungen umzugehen und erhalten die Möglichkeit, innovative Projekte mit Forschern, Unternehmen und anderen Interessensgruppen zu entwickeln. Darüber hinaus wird Raum geschaffen, praktische Lehre zu erproben und weiter zu entwickeln und auf diesem Wege zu Innovationen in der Bildung beizutragen. Lehrveranstaltungen finden im Innovation Space sowohl in Form von Grundkursen als auch von Bachelorarbeitsprojekten statt. In mehreren Prototyp-Laboren können die Studierenden nach Veranstaltungsende an ihren Prototypen weiterarbeiten. Networking Events und zahlreiche Community-Veranstaltungen gehören ebenso zu den Angeboten des Innovation Space wie die aktive Betreuung und Förderung studentischer Start-Ups. Uns hat auch hier die Transparenz beeindruckt, mit der an den verschiedenen Projekten geforscht und gearbeitet wird und die räumliche Umsetzung des Community-Gedankens, die sich in zahlreichen, unterschiedlich strukturierten Kollaborationsflächen und freien Einblicken in alle Arbeitsräume, die Flächen der Start-Ups eingeschlossen, äußern. Auch die Vielfalt der dort angegangenen Projekte, die sich über Themenfelder wie Biosensoren, nachhaltiges Wohnen, intelligente Beleuchtung, Energiewende, Agro-Food u. Technologien und künstliche Intelligenz erstrecken, ist bemerkenswert. Da der Innovation Space auf große Resonanz bei Studierenden, Lehrenden und der Wirtschaft stößt, wird derzeit an einer Ausweitung des Projekts gearbeitet. Mit einer Besichtigung des Atlas-Gebäudes, das mit seinen Großraumbüros im Verwaltungsbereich, seinen kleinen Dreier- oder Viererbüros für Lehrende und Forschende und den dafür umso üppigeren Besprechungsbereichen ebenso kommunikative Arbeitsweisen in der Vordergrund stellt, endete unser Besuch.
Uns blieb der Eindruck, dass die besuchten Universitäten in der räumlichen Umsetzung der Zukunftskompetenzen nach dem 4-K-Konzept erfolgreich Standards gesetzt haben. Sowohl die gewollte Transparenz von Arbeitsprozessen, als auch die damit einhergehende Nutzungsdurchmischung und die in diesem Rahmen bewusst platzierten Versorgungseinrichtungen fördern Kommunikation, Kollaboration und Kreativität. Abgerundet wird das Konzept durch die interdisziplinäre und damit multiperspektivische Herangehensweise an das Thema Raum und die Aufwertung desselben als strategisches Element der Hochschulentwicklung.
Bildquelle: HIS-HE